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Geschichte

Hoch über dem Tal von Luzein, am talseitigen Ortsrand von Putz im Prättigau, erhebt sich die weitläufige Ruine der ehemaligen Burg Castels. Auf einem markanten Felsvorsprung gelegen, prägt sie seit Jahrhunderten das Landschaftsbild und gilt bis heute als eines der bedeutendsten Wahrzeichen der Region – mit einer Ausstrahlung, die weit über den Luzeinerberg hinausreicht.

Die Burg blickt auf eine lange und bewegte Geschichte zurück. Ihre Mauern erzählen von Macht und Herrschaft, von Konflikten und Wandel, von Repräsentation und Rückzug. Doch Castels war nicht nur ein Ort der Politik – sondern auch ein Ort der Begegnung: Über Generationen hinweg diente der Schlosshof als Treffpunkt der Dorfgemeinschaft. Bis ins Jahr 1968 nutzten die Kinder der Putzer Dorfschule den Hof als Pausenplatz – ein stilles Zeugnis der fortdauernden Verbindung zwischen Burg und Bevölkerung.

Bis 1968 war der Schlosshof Pausenplatz der Dorfschule

Der Name „Castels“ leitet sich vom lateinischen castellum ab – ein Hinweis darauf, dass sich hier möglicherweise bereits im Frühmittelalter eine Fluchtburg oder ein befestigtes Kastell befand. Auch wenn archäologische Belege dafür fehlen, lässt die Lage und die spätere Bauweise diesen Schluss zu. Die heutige Anlage wird aufgrund der Mauertechnik am Bergfried gemeinhin ins frühe 12. Jahrhundert datiert – und markiert damit den Beginn einer über 800-jährigen Geschichte.

Frühmittelalterliche Ursprünge

Auch wenn die schriftliche Überlieferung erst im 14. Jahrhundert einsetzt, deuten mehrere Hinweise darauf hin, dass der Standort von Castels bereits im Frühmittelalter eine strategische Rolle spielte. Der Name „Castels“ leitet sich vom lateinischen castellum ab – ein Begriff für ein befestigtes Lager oder eine Fluchtburg. Es ist daher denkbar, dass sich hier einst ein Refugium für die Bevölkerung des mittleren Prättigaus befand, das in unsicheren Zeiten Schutz bot.

Archäologische Belege für eine frühmittelalterliche Nutzung fehlen bislang, doch die baulichen Merkmale der heutigen Anlage sprechen eine deutliche Sprache. Insbesondere die Mauertechnik am Bergfried – dem zentralen Turm der Burg – lässt eine Datierung in das frühe 12. Jahrhundert zu. Die sorgfältige Ausführung der Eckverbindungen mit Kantenschlag und Bossen, die auffällige Dimension der Steine sowie Reste eines später aufgetragenen Verputzes mit Sgrafittoelementen zeugen von hoher handwerklicher Qualität und einer repräsentativen Bauweise.

Bemerkenswert ist auch die Wandstärke des Bergfrieds, die sich gegen oben nicht verjüngt – ein in der Region ungewöhnliches Merkmal. Ursprünglich verfügte der Turm über drei Stockwerke, wobei der Hocheingang im zweiten Geschoss lag und heute noch zu erahnen ist. Diese baulichen Details geben wertvolle Hinweise auf die frühe Funktion und Bedeutung der Burg als Höhenfestung im alpinen Raum.

Erste schriftliche Erwähnungen

Während die baulichen Merkmale der Burg Castels auf eine Entstehung im frühen 12. Jahrhundert hindeuten, beginnt die schriftliche Überlieferung überraschend spät: Erst im Jahr 1338 wird die Anlage erstmals urkundlich erwähnt. Damals veräusserten die Erben Ulrichs von Aspermont die Feste samt zugehörigen Gütern und Untertanen an die Grafen von Toggenburg und von Matsch – zwei bedeutende Adelsgeschlechter, die fortan die Geschicke der Region prägten.

Die Herrschaft Castels umfasste zu dieser Zeit ein beträchtliches Gebiet: Neben Luzein gehörten auch Jenaz, Fideris, Furna und Teile von St. Antönien dazu. Die Burg diente nicht nur als Wohnsitz, sondern auch als Verwaltungszentrum und Symbol territorialer Kontrolle.

Die Herrschaft umfasste Luzein, Jenaz, Fideris, Furna und Teile von St. Antönien

Nach dem Tod Friedrichs von Toggenburg im Jahr 1436 ging die Herrschaft vollständig an die aus dem Vinschgau stammenden Herren von Matsch über. Diese residierten bis 1496 auf Castels und hinterliessen bleibende Spuren – etwa in den Wappenemblemen der Gemeinden Luzein und Jenaz, wo die charakteristischen „Matscherflügel“ noch heute zu sehen sind. Auch in der Kirche von Luzein finden sich Hinweise auf ihre Präsenz, etwa in den Schlusssteinen des Netzgewölbes.

Der letzte Matscher, Gaudenz von Matsch, verkaufte die Burg 1496 hoch verschuldet an Kaiser Maximilian I. von Österreich. Damit begann eine neue Phase in der Geschichte von Castels – als Teil der habsburgischen Herrschaftsstruktur in Nordbünden.

Herrschaftsverhältnisse und politische Rolle

Mit dem Verkauf der Burg Castels an Kaiser Maximilian I. im Jahr 1496 wurde die Anlage Teil der habsburgischen Herrschaftsstruktur in Nordbünden. Bereits zuvor waren mehrere Gerichte – darunter Davos, Klosters, Belfort und Churwalden – unter österreichischen Einfluss geraten. Castels wurde fortan zum zentralen Verwaltungssitz der österreichischen Rechte im Prättigau und diente als Residenz der Landvögte.

Diese Landvögte stammten mehrheitlich aus tirolischen oder bündnerischen Adelsfamilien und übten ihre Funktion im Auftrag des Hofes Innsbruck aus. Bemerkenswert ist, dass die Landbevölkerung ein gewisses Mitspracherecht bei deren Wahl hatte – ein frühes Beispiel regionaler Selbstbestimmung innerhalb eines feudalen Systems.

Die Landbevölkerung hatte ein Mitspracherecht bei der Wahl der Landvögte

Die Burg wurde in dieser Zeit baulich erweitert und repräsentativ ausgestaltet. Ein Inventar aus dem Jahr 1616 beschreibt ein mehrgeschossiges Gebäude innerhalb der Ringmauer mit zahlreichen Stuben und Kammern sowie einer Hauskapelle – ein Hinweis auf die gehobene Wohn- und Verwaltungsfunktion der Anlage.

Während der Bündner Wirren wurde Castels 1622 von bündnerischen Truppen belagert und eingenommen, jedoch im Herbst desselben Jahres durch Graf von Sulz zurückerobert. Die politische Instabilität dieser Zeit führte schliesslich zum Loskauf der sogenannten „Acht Gerichte“ im Jahr 1649 – ein Akt der Selbstbefreiung von österreichischer Herrschaft. In der Folge wurde die Burg geschleift, also gezielt zerstört, und dem Verfall überlassen.

Liste der Landvögte von Castels (1499–1649)

Über anderthalb Jahrhunderte hinweg residierten auf Schloss Castels die Landvögte der österreichischen Verwaltung im Prättigau. Ihre Herkunft, politische Haltung und persönliche Geschichte spiegeln die Vielfalt und Spannungen dieser Epoche wider. Einige von ihnen waren lokale Adelige, andere kamen aus Tirol oder dem Vinschgau. Manche traten als Reformer auf, andere als Gegner der Reformation. Die folgende Übersicht zeigt die bekannten Amtsinhaber und ihre Besonderheiten:

ZeitraumNameHerkunft / Besonderheit
1499–1503Hans Schuler von DavosEhem. österreichischer Söldnerhauptmann
1505–1523Ulrich von SchlandersbergRitter aus dem Vinschgau
1523–1541Hans von MarmelsGegner der Reformation
1542–1556Peter FinerLehnherr von Bad Fideris
1557–1573Dietegen von SalisBegründer der Linie Salis-Seewis
1573–1596Hans Georg von MarmelsBeerdigt in der Kirche Luzein
1596–1607Georg Beeli von BelfortBürger von Fideris, später hingerichtet
1607–1614Georg von AltmannshausenTiroler Herkunft
1614–1616Kein Vogt belegt
1616–1649Johan Viktor Travers von OrtensteinLetzter Castelser Landvogt

Die Amtszeiten dieser Männer markieren nicht nur Verwaltungsperioden, sondern auch politische und religiöse Umbrüche. Besonders eindrücklich ist das Schicksal von Georg Beeli von Belfort, der als Bürger von Fideris zunächst zum Landvogt aufstieg, später jedoch hingerichtet wurde – ein Spiegel der Spannungen jener Zeit.

Bauliche Entwicklung

Die Burg Castels ist ein eindrucksvolles Beispiel einer hochmittelalterlichen Höhenburg. Ihre Entstehung lässt sich zwar nicht exakt datieren, doch die baulichen Merkmale sprechen für eine erste Bauetappe im frühen 12. Jahrhundert – mit dem Bergfried als zentralem Element.

Der Bergfried, also der Hauptturm der Anlage, wurde mit aussergewöhnlicher Sorgfalt errichtet. Die Mauertechnik zeigt präzise Eckverbindungen mit Kantenschlag und Bossen, wobei die Dimension der einzelnen Steine besonders auffällt. Reste eines später aufgetragenen Verputzes sind noch erkennbar – dieser wurde vermutlich mit Sgrafittoelementen verziert, was auf eine repräsentative Nutzung hindeutet.

Ein bemerkenswertes Detail ist die Wandstärke des Bergfrieds, die sich gegen oben nicht verjüngt – ein in Graubünden seltenes Merkmal. Ursprünglich verfügte der Turm über drei Stockwerke. Der Hocheingang lag im zweiten Geschoss und ist heute noch in Ansätzen sichtbar.

Auch die Ringmauer (Bering) zeigt Spuren mehrerer Ausbauetappen. So wurden etwa die schlüssellochförmigen Schiessscharten für Feuerwaffen wohl erst im 16. oder 17. Jahrhundert eingebaut – ein Hinweis auf die militärische Anpassung der Anlage an neue Waffentechnologien.

1980 unternahm der Kunsthistoriker Alwin Jaeggli aus Winterthur einen Rekonstruktionsversuch der Burganlage. Neuere Erkenntnisse zeigen jedoch, dass seine Skizze in mehreren Punkten von der tatsächlichen historischen Realität abweicht. Ein Vergleich mit heutigen Beobachtungen vor Ort verdeutlicht die Diskrepanz – und lädt dazu ein, die Burg mit eigenen Augen zu erkunden.

Skizze

Archäologische Erkenntnisse

Seit dem 20. Jahrhundert rückte die Burg Castels zunehmend in den Fokus archäologischer Forschung. Besonders in den Jahren 2011 bis 2018 wurden durch den Archäologischen Dienst Graubünden mehrere Untersuchungen durchgeführt, die wertvolle Einblicke in die Baugeschichte und Nutzung der Anlage ermöglichten.

Die Grabungen konzentrierten sich unter anderem auf den Bergfried, die Umfassungsmauer und die Struktur des Schlosshofs. Dabei konnten Mauertechniken, Verputzreste, Schiessscharten und Fundamente dokumentiert werden, die Rückschlüsse auf verschiedene Bauphasen und Umbauten zulassen.

Die Ergebnisse dieser Arbeiten sind in mehreren Berichten zusammengefasst, die hier als PDF zur Verfügung stehen:

Diese Dokumente bieten eine fundierte Grundlage für die historische Einordnung der Burg und sind ein wertvoller Beitrag zur Erhaltung und Vermittlung des kulturellen Erbes im Prättigau.

Lokale Besonderheiten und Beobachtungen

Neben den offiziellen Grabungen und historischen Quellen gibt es zahlreiche lokale Beobachtungen und architektonische Details, die ein vertieftes Verständnis der Burg Castels ermöglichen. Einige davon stammen aus mündlicher Überlieferung, andere aus bautechnischen Analysen oder topografischen Studien.

So weisen die schiessschartenartigen Öffnungen an den gegenüberliegenden Häusern – dem Restaurant Castels und dem Haus Schawalder – möglicherweise auf Gegenwerke zur Verteidigung hin. Auch wenn keine direkte Verbindung zur Burg nachgewiesen ist, lässt die Ausrichtung und Form dieser Elemente solche Interpretationen zu.

Ein oft diskutiertes Thema ist der angebliche Geheimgang ins Vogthaus im Unterputz. Archäologische Untersuchungen haben jedoch bestätigt, dass ein solcher Gang nicht existiert. Richtig ist hingegen, dass das Haus Meisser/Thöny eine typische Tiroler Dachstock-Konstruktion aufweist und in barocker Manier bemalt ist – ein stilistisches Echo der österreichischen Präsenz.

Die Schlossökonomie dürfte sich ebenfalls im Bereich des Unterputz befunden haben. Dieser befestigte Umschlag- und Stapelplatz für Güter war vermutlich zentraler Bestandteil der herrschaftlichen Infrastruktur. Auch der Schlossgaden – unmittelbar vor dem Aufstieg zum Tor – war wohl nicht, wie oft angenommen, Teil der Landwirtschaft, sondern diente anderen Zwecken.

Putz = Pozza / Pozzo = Pfütze / Brunnen

Besonders bemerkenswert ist die Quelle im Gebiet Bild und Tschigaualoch zwischen Ober- und Unterputz. Sie liefert bis heute zuverlässig Wasser – eine Seltenheit am trockenen Luzeinerberg und ein möglicher Grund für die Wahl des Standorts im Mittelalter.

Fazit

Die Burg Castels ist weit mehr als eine Ruine auf einem Felsvorsprung. Sie ist ein steinernes Archiv, das von Macht und Wandel, von Alltag und Ausnahmezustand, von regionaler Identität und europäischer Geschichte erzählt. Ihre Mauern haben Herrscher kommen und gehen sehen, Kriege überstanden, Reformen erlebt und Generationen von Menschen geprägt.

Als Verwaltungssitz, Wohnort, Zufluchtsstätte und Symbol politischer Ordnung war Castels über Jahrhunderte hinweg ein zentraler Ort im Prättigau. Die baulichen Besonderheiten, die archäologischen Funde und die lokalen Überlieferungen machen sie zu einem einzigartigen Zeugnis mittelalterlicher Lebenswelt in den Alpen.

Heute steht die Burg nicht nur unter Denkmalschutz, sondern auch im Zentrum zahlreicher kultureller und gemeinschaftlicher Initiativen. Ihre Geschichte lebt weiter – in den Veranstaltungen, den Erhaltungsprojekten und in der Erinnerung der Menschen, die sich mit ihr verbunden fühlen.